Münchens wohl größter lebender Autor feiert Geburtstag
Aus diesem Anlass erscheinen im KiWi Verlag gleich zwei neue Bücher von und über ihn:
„Der Verrückte in den Dünen“ aus seiner Feder beschäftigt sich mit dem Thema Utopie als Gesellschafts- und Kunstform in der Vergangenheit, wie seine Reise nach Paraguay zeigte oder in der Gegenwart, am Beispiel eines Berliner Graffitikünstlers.
In seine Betrachtungen wird die Utopie erprobt als Gegenentwurf zur herrschenden Gesellschaft, mit eigenen Regeln und absoluter Gleichheit als Anspruch. Von verschiedensten Entwürfen solcher Gesellschaften erzählt Uwe Timm und der Leser bleibt nachdenklich zurück.
In „Am Beispiel eines Autors – Texte zu Uwe Timm“ (Herausgegeben von Kerstin Gleba / Helge Malchow) – würdigen 23 AutorInnen sein seit fast 50 Jahren nicht nur die deutsche Literaturlandschaft prägende Werk. Als Mensch und Charakter kommt er uns als Lesern näher durch die niedergeschriebenen Begegnungen mit ihm in „Am Beispiel eines Autors“. Er ist offensichtlich stark von Zahnschmerzen geplagt, leutselig, ehrlich interessiert an anderen und saugt Begegnungen, Sprache und Orte in sich auf, um daraus Literatur zu machen.
Die Kollegen und Weggefährten erkennen aber nicht nur ihn als Freund, Urlausbegleiter oder Diskussionspartner an, sondern weisen auch auf die – ihrer Meinung nach – besten Werke aus seiner Feder hin. Sei es die Aufarbeitung seiner Familiengeschichte mit „Am Beispiel meines Bruders“, in dem er das Leben seines älteren Bruders und dessen Mitgliedschaft bei der Waffen-SS thematisiert.
In „Der Freund und der Fremde“ wird Timms Freundschaft mit Benno Ohnesorg (sie haben sich kennengelernt, als beide in den 60ern da Abitur nachholten) zum Thema: der Student, der 1967 beim Besuch des Schahs in Berlin erschossen wurde – und dessen Tod stark zum Ausbruch der 1968er Unruhen beitrug. Beeindruckend ist dabei nicht nur die Wortgewalt, sondern vor allem die ehrliche Auseinandersetzung des Erzählers Uwe Timm mit sich selbst und dem Freund. Ehrlichkeit, vor allem ungeschönt, ist nicht nur in der Literatur selten geworden und deshalb bleibt sie umso mehr im Gedächtnis.
Dann aber wieder sein Kinderbuch „Rennschwein Rudi Rüssel“, für das er den Deutschen Jugendliteraturpreis bekam und das einfach nur schreiend komisch ist (die Verfilmung ist auch wunderbar als Familienerlebnis).
Mir ist Uwe Timm das erste Mal mit seinem Buch „Rot“ begegnet, das mich begeistert hat als Blick auf die 68er Generation in ungeschöntem Rückblick. Es geht um Grabredner Thomas Linde, der immer den Verstorbenen in den Fokus stellt und als echter Alt-Kommunist nie den göttlichen Bezug herstellt. Als er den Abgesang auf seinen Freund Aschenbrenner halten soll, findet er in dessen Nachlass Sprengstoff und einen Plan für einen revolutionären Akt – was macht das mit Linde und dessen Ambitionen?
Wie groß Uwe Timms Werk tatsächlich ist (u.a. 25 Bücher, 2 Gedichtbände, 7 Filme) wurde mir erst durch die Arbeit an diesem Artikel bewusst.
Wie man aus seinem Verlag hört, sitzt er schon wieder an seinem nächsten Manuskript – wir dürfen uns also weiter auf seine Mischung aus autobiografischen Notizen, gesellschaftlicher Moral und politischem Bewusstsein freuen.
Wusstet ihr, dass München die Heimat der meisten Verlage Europas ist? Über 140 gibt es hier, die jährlich über 8.000 Bücher neu veröffentlichen! Wir Münchner haben also jeden Tag Grund, die Literatur und Kultur in unserer Stadt zu feiern.
Erheben wir unsere Gläser auf Uwe Timm, seine viele schreibenden und verlegenden Kollegen hier in unserer schönen Stadt und feiern!